Der „private Blick“ im Ersten Weltkrieg – Fotoalben –

Aus den Sammlungen des Archivs für Kunst und Geschichte /

akg-images. Teil 1

Die Sammlungen des Archivs für Kunst und Geschichte – heute akg-images – enthalten einen umfangreichen Bestand an historischen Fotoalben. Sie zählen zu den besonderen Schätzen des Archivs, die im Laufe seines fast 70jährigen Bestehens als Bildagentur gesammelt wurden. Die über 600 Alben umfassen nicht nur Familien-, Reise- und Firmenalben aus den letzten 150 Jahren, sondern auch private Fotoalben zum Ersten Weltkrieg, dessen Beginn sich in diesen Tagen zum 100 Male jährt. Auch für akg-images ein Anlass in diesen Alben zu blättern und an die Bilder der Menschen mit ihren Erfahrungen und dem unendlichen Leid der Kriegsjahre zu erinnern.

Fotoalben zur Geschichte des Ersten Weltkrieges aus den Sammlungen von akg-images, Foto 2012, ©akg-images
Fotoalben zur Geschichte des Ersten Weltkrieges aus den Sammlungen von akg-images, Foto 2012, ©akg-images

Die Fotoalben tragen Namen, wie “Kriegserinnerungen”, oder schlicht “Album”, andere zeigen das Eiserne Kreuz, das Konterfei von Hindenburg, bzw. den Titel „Weltkrieg 1914/1915/1916“ und mussten dann handschriftlich um die Jahre 1917/1918 ergänzt werden, denn alle hatten mit einem kurzen Krieg bzw. schnellem Sieg gerechnet. Die Worte des Kaisers vom August 1914 „bis Weihnachten seid ihr wieder zu Hause“ klangen allen noch in den Ohren, doch dieser propagierte Optimismus wich bald einer deutlichen Ernüchterung.

2. Fotoalben mit Kriegserinnerungen aus dem Ersten Weltkrieg, Foto 2013, ©akg-images
2. Fotoalben mit Kriegserinnerungen aus dem Ersten Weltkrieg, Foto 2013, ©akg-images

Für die Zeit des Ersten Weltkrieges verfügen wir noch heute – 100 Jahre später – über eine wahre Bilderflut. Das Medium Fotografie war noch jung, aber erlebte gerade in dieser Zeit seine erste große Blüte. Es lohnt sich genau hinzusehen und diese Bilder zu differenzieren. Handelt es sich um die offiziellen Bilder, Propagandaaufnahmen mit denen man Geschichte schreiben wollte? Oder sind es dokumentarische, oder sogar private Blicke von Amateurfotografen, die oftmals unverstellt, ohne jegliche Beschönigung auf die Ereignisse dieses Krieges blickten? In vielen privaten Fotoalben finden wir diesen besonderen Blick auf die historischen Momente, wo oft nur ein Wimpernschlag das Leben vom Tod trennte. So auch in dem sehr umfangreichen Album von dem Juristen und späteren Verleger Dr. Hanns Krach (vgl.Teil 2). Andere sind eindeutig dokumentarisch angelegt, sie geben eher eine offizielle Darstellung des Geschehens, so das Album Rottländer „Geschichte des Armierungs-Bataillons 161“, das 1917 in Lümschweiler (Elsass) stationiert war. Nicht selten sind die Alben von einer collageartigen Anmutung, neben den Amateuraufnahmen, enthalten sie Postkarten, Skizzen, mehr oder weniger ausführliche Kommentare zu den Bildern bzw. Berichte und Chroniken. In vielen von ihnen ist auch die Neugier auf fremde Menschen und Regionen zu finden, der “touristische Blick”, oft Seite an Seite mit den Aufnahmen vom Kriegsalltag und den Bildern von der alles zerstörenden Kraft des Krieges.

Das “Album” eines unbekannten Amateurfotografen nimmt uns mit an die Ostfront nach Polen und Litauen. Der Blick dieses Fotografen ist offen für das Leben und die Kultur der Menschen in dem fremden von deutschen Truppen besetzten Land. Wir sehen jüdisches Leben in “Wilna” (heute Vilnius die Hauptstadt Litauens) den Alltag auf der Straße, auf dem Markt, die Begegnungen der jüdischen Bevölkerung mit deutschen Soldaten. Man spürt das kulturhistorische Interesse, denn es finden sich nicht nur Aufnahmen von der “Deutschen Kirche”, der “Michaelskirche” und der “Bernhardiner Kirche”, sondern auch ein Blick in das Innere der Großen “Synagoge von Wilna”. In ihrem Zentrum die Bima, die von vier massiven toskanischen Säulen umgeben war, sowie eine Aufnahme vom Thoraschrein. Im zweiten Weltkrieg wurde diese größte Synagoge Litauens von den deutschen Besatzern weitgehend zerstört und existiert heute nicht mehr. 1916 lebten über 74 000 Juden in Vilnius, das waren rund 40 % der Einwohner. Diese Amateuraufnahmen strahlen die Neugier und die Normalität im Umgang mit anderen Kulturen aus, die 25 Jahre später am gleichen Ort und in einer adäquater Situation undenkbar waren. Die herrschenden Denkmuster dieses Krieges waren Eroberung und Unterwerfung und noch nicht Eroberung und Vernichtung. Von den 80 000 Juden in Vilnius 1939 überlebten nur wenige Tausend den Holocaust. Man sieht diese Bilder des Ersten und denkt zugleich an die Schrecken des Zweiten Weltkrieges.

Doppelseite mit Fotografien vom jüdischen Viertel in Wilna/Vilnius, Foto 1916, ©akg-images
Doppelseite mit Fotografien vom jüdischen Viertel in Wilna/Vilnius, Foto 1916, ©akg-images

 

10. Doppelseite mit Wisente im Wald von Bialowieza, Foto 1916, ©akg-images
Doppelseite mit Wisente im Wald von Bialowieza, Foto 1916, ©akg-images

In diesem Album finden sich auch Bilder von einer wunderbar intakten Landschaft mit den Bildunterschriften “Winter in Polen” und “Wisente in russ. Forsten”. Sie offenbaren den sensibilisierten Blick für die Schönheit der Natur, die Birkenwälder. Eine Art Urwald mit Wisente die jedes Jägerherz höher schlagen ließ, sind zu sehen. Wisente gab es damals nur noch im Osten, sie waren im restlichen Europa längst vom Aussterben bedroht. Für Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg waren sie im Januar 1916 Anlass für einen kleinen Jagdurlaub mitten im Krieg. Auch Prinz Leopold von Bayern Befehlshaber der 9. Armee hatte bereits am 19. September 1915 stolz im eroberten Jagdgebiet des Zaren seinen ersten Wisent erlegt. Welch angenehmer Zeitvertreib. Für die einfachen Soldaten auf beiden Seiten der Front war der Krieg nicht ganz so unterhaltsam, sie bezahlten die Eroberungspolitik des deutschen Kaiserreiches oftmals mit ihrem Leben, wie auch mein Urgroßvater Friedrich Karl Engelmann. In seinem letzten Brief an seine Frau schrieb er am 19. Mai 1915 von der Ostfront „Wir leben wie die wilden Tiere, den Kopf darf man nicht sehen lassen … .“ Nur wenige Wochen später wurde er in einem Vorpostengefecht an der Dubissa schwer verwundet, geriet anschließend in russische Gefangenschaft und galt seit dem als vermisst – ein Schicksal, dass er mit hunderttausenden Soldaten teilte.

Es folgen Aufnahmen von einem Sportfest, welche in diesem Kontext nahezu grotesk anmuten. Die Bilder zeigen, wie hier peinlich genau darauf geachtet wird, dass sich die Hände exakt an der Startlinie befinden. Kein geringerer als Oskar Prinz von Preußen (1888-1958) beobachtet die Wettkämpfe des “Rasensportfest des Kaiserlichen Gouvernement Wilna auf der Rennbahn Wilna-Antokol” heute ein Stadtteil von Vilnius. Die Aufnahmen verdeutlichen, dass der organisierten Leibesertüchtigung bzw. dem Sport nicht nur vor, sondern auch während des ersten Weltkrieges eine große Bedeutung zu kamen, denn sie waren eine physische Schule und eine gute Gelegenheit für Kompanieführer, Stoßtrupps und für alle die sich nach Auszeichnungen durch Heldentaten sehnten, ihre Leistungen unter Beweis zu stellen.

Doppelseite mit Fotografien von der Schlacht bei Postawy, Foto1916, ©akg-images
Doppelseite mit Fotografien von der Schlacht bei Postawy, Foto1916, ©akg-images

Nur eine Seite weiter sehen wir Tot und Verwüstung, die Bilder von der „Schlacht bei Postawy„ heute in Weißrussland. Schonungslos tritt uns das Grauen des Krieges in diesen Bildern entgegen. Unzählige Gefallene liegen im Schlamm. Das unendliche Elend und Leid dieses Krieges wird in diesen Amateuraufnahmen deutlich sichtbar. Es sind Bilder die nach dem Zusammenbruch der russischen Frühjahrsoffensive an der Nordfront entstanden sind. Sie hatte am 18. März 1916 begonnen, dabei ließen über 140 000 russische Soldaten ihr Leben. Die Bilder tragen Bildunterschriften wie, “Blick auf die zerschoss. Stellungen in der Hindenburg Schneise v. russ. Seite aus”. Doch nicht nur russische und deutsche Soldaten ließen hier ihr Leben, auch die Natur bietet ein Bild der Zerstörung und Verwüstung. Es sind apokalyptische Bilder, wie sie später Otto Dix in seinen Gemälden u.a. “Der Schützengraben” malte, das von den Nationalsozialisten aufgrund seines “wehrzersetzenden Charakters” verbrannt wurde und das heute nur noch als Reproduktion existiert. Am Ende dieses privaten Fotoalbums blicken wir in die Gesichter von russischen Kriegsgefangenen mit zum Teil trotzigen und fragenden Blicken und ihrem ungewissem Schicksal. Die folgende Aufnahme “Hinter der Stellung des Inf. Rgt. 131.” zeigt auch die Toten auf deutscher Seite.

Als immer deutlicher wurde, welche Rolle den Bildern bei der Kriegsführung zu kam, wurde von Seiten der Obersten Heeresleitung Ende 1916 die BUFA – Bild- und Filmamt – ins Leben gerufen. Man wollte “Herr der Bilder” bleiben, denn die große Bedeutung der Fotografie in diesem Zusammenhang war längst erkannt worden. Doch die Amateurfotografie im Ersten Weltkrieg ließ sich nur schwer zurückdrängen, ursprünglich gefördert, war sie längst zu einer Massenerscheinung geworden.

Viele der privaten Fotoalben von akg-images widerspiegeln nicht nur die Euphorie am Beginn des Ersten Weltkrieges und die Ernüchterung bei den Soldaten durch den Kriegsalltag bzw. -verlauf, sondern fragen auch nach dem Sinn dieses Krieges, der so gewaltige Opfer den Soldaten und der Bevölkerung abverlangte. Dieser Krieg, der mit seiner enormen Beschleunigung technologischer Entwicklungen Millionen Menschenleben forderte und für tausende Überlebende buchstäblich ins NICHTS führte. Viele Kriegsteilnehmer suchten am Ende des verloren Krieges den Weg wieder zurück in alte militärische Strukturen. Für die Weimarer Republik bedeutete das ein verhängnisvolles Erbe.

Der Schützengraben, Otto Dix, 1920-1923, Foto 1923, © Otto Dix / VG Bild-Kunst akg-images
Der Schützengraben, Otto Dix, 1920-1923, Foto 1923, © Otto Dix / VG Bild-Kunst / akg-images

 

Zu ausgewiesen Kriegsgegnern, wie Otto Dix, Käthe Kollwitz, Ernst Toller bzw. Ernst Friedrich der 1923 das “Anti-Kriegsmuseum“ in Berlin gründete, wurden nur wenige.Viele der überlebenden Soldaten ordneten und sortierten ihre Aufnahmen, klebten sie in ein Album, beschrifteten sie sorgfältig und konnten so, der Familie und Freunden anschaulich von den Kriegserlebnissen berichten bzw. sie dokumentieren. Ihre persönlichen Erinnerungen an diese „Urkatastrophe“ des 20. Jahrhunderts erhielten einen festen Platz im privaten Fotoalbum.

Einen offiziellen Ort der Erinnerung gab es für die Deutschen nicht. Während in England und Frankreich Kriegsmuseen entstanden, mussten die umfangreichen Planungen für das neue „Reichskriegsmuseum“ in Berlin Ende 1918 eingestellt werden. Die Oberste Heeresleitung hatte seit 1916 intensiv an der Realisierung des neuen Museums gearbeitet und dafür bereits eine Million Reichsmark angewiesen, so dass die Planungen 1918 weit fortgeschritten waren.

Lichthof des Berliner Zeughauses mit Geschützen aus dem Ersten Weltkrieg, Fotopostkarte 1935, ©akg-images
Lichthof des Berliner Zeughauses mit Geschützen aus dem Ersten Weltkrieg, Fotopostkarte 1935, ©akg-images

Das dafür prädestinierte Berliner Zeughaus mit der alten preußischen Ruhmeshalle, in dem während des Krieges immer wieder Beutestücke demonstrativ zu Schau gestellt worden waren, zeigte erst gegen Ende der Weimarer Republik eine erste Weltkriegsausstellung, denn die Bestimmungen des Versailler Friedensvertrages sahen auch hier Einschränkungen vor. Ab 1933 nutzten die Nationalsozialisten das Berliner Zeughaus gnadenlos für ihre Kriegspropaganda, denn es galt ein Trauma zu revidieren. Mit der Verklärung der Waffen- und Heldentaten des Ersten Weltkrieges sollte die alte Legende “unbesiegt im Felde” neu propagiert werden.