»Es war einmal…« Riga – Fotoalbum eines Deutsch-Balten

Nur wenige Wochen nach dem Einmarsch deutscher Truppen in Polen und dem Beginn des Zweiten Weltkriegs beginnt Ende Oktober 1939 die Umsiedlung sogenannter deutscher ›Volksangehöriger‹ aus den baltischen Staaten in die von der Wehrmacht besetzten westlichen polnischen Provinzen. Die Massnahmen, von der SS organisiert und durchgeführt, werden von Reinhard Heydrich und Heinrich Himmler koordiniert. Zwar scheint die Umsiedlung freiwillig, tatsächlich aber wird massiver Zwang auf die rund 80.000 Betroffenen ausgeübt. Sie ziehen in Wohnungen und Häuser, aus denen gerade deren polnische Bewohner vertrieben worden sind.
Die Übersiedlung ist Teil der von den Nationalsozialisten geplanten gigantischen Neuordnung des ›Lebensraums im Osten‹, der für die ›arisch-germanische Rasse‹ gewonnen werden soll. Die bisherigen Bewohner sollen zu ›Hilfsvölkern‹ erniedrigt, die dort lebenden Juden vernichtet werden. Am Ende stehen millionenfacher Tod und Massenelend. Aus den Umsiedlern, wenn sie den Krieg überleben, werden Flüchtlinge, die sich mit ihrer wenigen Habe den Treks nach Westen anschliessen oder in eine ungewisse Zukunft in ihre alte zerstörte Heimat zurückkehren.

Einband Fotoalbum Riga. Amateurfotos ab den späten 1930er Jahre. ©akg-images
Albumdoppelseite mit Amateurfotografien. Fotograf unbekannt, um 1944. ©akg-images

Das Fotoalbum mit der bunten Zeichnung einer in lettischer Volkstracht gekleideten Frau auf dem hölzernen Einband scheint einem der Deutsch-Balten gehört zu haben, der 1939 seine Heimatstadt Riga verlassen hat. Mehr als ein Drittel der Aufnahmen im Album sind einfache Ansichten der noch unzerstörten Hauptstadt Lettlands. Eine der folgenden Aufnahmen ist schräg eingeklebt. Unter dem ›Blick auf Riga‹ hat der Besitzer des Albums geschrieben: »Wieder Riga … und ich bin da.« Heute können wir nur vermuten, was damit gemeint gewesen sein könnte. Wahrscheinlich markiert die Fotografie die Entscheidung nach der Umsiedlung noch einmal in die Stadt zurückzukehren. Im letzten Teil des Albums sind Fotos der zerstörten Stadt eingeklebt. Betitelt sind sie mit den Worten »Es geht alles vorüber« und »Es wahr einmahl [sic]«.

Petrikirche und Schwarzkopfhaus. Fotograf unbekannt, um 1944. ©akg-images
Zerstörtes Rigaer Rathaus. Fotograf unbekannt, um 1944. ©akg-images

 

Albumseite, Foto des zerstörten Rigaer Rathaus. Fotograf unbekannt, um 1944. ©akg-images