Hintergründe – “unwahre Unwahrscheinlichkeiten”
Die erste Nutzung eines direkt auf die Daguerreotypie gemalten farbigen Hintergrunds (im Jahr 1843) wird dem Londoner Daguerreotypisten Antoine Claudet zugeschrieben. Er wurde durch seine fein ausgeführten zartblauen Wolkenhintergründe berühmt. Gemalte Hintergründe hatte es aber schon Jahre früher auf amerikanischen Daguerreotypien gegeben. Die Möglichkeit, Menschen vor gemalten Hintergründen in einen Phantasieraum zu versetzten, erlebt ab den 1860er Jahren mit der Popularisierung der Studiofotografie einen gewaltigen Aufschwung. An den „Unwahrscheinlichkeiten“ [1] dieser Inszenierungen scheint sich bald niemand mehr zu stören. Typische Hintergründe der Zeit sind Landschaftsdarstellungen, Stadtansichten, Innenarchitekturen und Salonatmosphären. „Nur in seltenen Fällen stand der Hintergrund mit dem Lebenszuschnitt der Porträtierten im Einklang. Die Attrappe schuf ihm jedoch eine Umgebung, die er sich selbst wählen und seinen Wunschträumen anpassen konnte.“[2]
Viele ehemalige Maler, die sich als Fotografen ein besseres Auskommen erhofften, konnten selbst zum Pinsel greifen. Andere Fotografen ließen sich passende Kulissen malen. Um ihren Kunden ein kontinuierlich wechselndes Sortiment an Hintergründen bieten zu können, war es seit den 1880er Jahren für Fotografen auch möglich, gemalte Kulissenwände für den zeitlichen Gebrauch zu mieten. Verfügte ein Kunde über die nötigen finanziellen Mittel, wurde ein speziell entworfener, individualisierter Hintergrund für dessen Porträt angefertigt, um die damals in den Fachzeitschriften als „schablonenhaft“ kritisierte massenhafte Verwendung immer gleicher Hintergrundbilder zu vermeiden.
Das Hintergrundbild im fotografischen Atelier musste nicht nur ästhetischen, sondern auch technischen Ansprüchen genügen. Es diente als Stilelement zur Vollendung eines gewünschten Raumbildes ebenso wie als Kontrastfläche zur aufgenommenen Person. Leinwandhintergründe konnten auf Keilrahmen gespannt und auf Holzfüßen/ Rollen montiert oder als Rollo an der Decke (meist bis zu acht verschiedene Bilder hintereinander) angebracht werden. Besonders große Ateliers hatten Hintergründe, die auf im Boden verankerten Schienen ins Bild gezogen werden konnten. Zur besseren Ausleuchtung der Szene wurde bald auch mit gekrümmten Hintergründen experimentiert. Selbstverständlich gehörten Möbel, architektonische Versatzstücke, Pflanzen und andere Dekorationselemente zur Ausstattung jedes Atelierfotografen, nicht zuletzt, um die gewünschte nötige Tiefe des abzubildenden Raumes zu erzeugen. Vor allem aber musste beachtet werden, „(…) dass das Hintergrundformat eines bemalten Hintergrundes in Uebereinstimmung mit dem Bildformate“ [3] war, um die angestrebte Illusion nicht zu zerstören. Immer scheint dieses allerdings nicht gelungen zu sein.
Fußnoten:
- [1] Stenger, Erich. 1950. Der Siegeszug der Photographie. Seebruck am Chiemsee. Seite 87
- [2] Stenger, Erich. 1950. Der Siegeszug der Photographie. Seebruck am Chiemsee. Seite 89
- [3] Eder, Josef Maria. 1983. Das Atelier und Laboratorium des Photographen. 2., verb.verm. Aufl.; Reprint [der Ausg.] Halle a.S., Knapp, 1893. Hannover: Ed. Libri Rari.