Kinder die auf Stühlen stehen

„Um die quirligen Kindwesen an einen Platz zu fesseln, von dem sie nicht leicht entlaufen konnten, stellte man sie auf Stühle, Sessel und die besonders dafür geeigneten Gartenbänke aus Kork.“ [1]

J. Fuchs, um 1900.
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Atelier Scharmann, um 1910. ©akg-images
H. Wolffberg, um 1910.
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“Sommer 1912”. Rich. Kurt Koschel, 1912. ©akg-images

Im Angebot zeitgenössischer Hersteller wie etwa der Wiener Firma ›Oscar Kramer‹ findet sich Ateliermobiliar wie „Schemel gotisch“, „Stühle altdeutsch und modern mit Rohr geflochten“, „dieselben mit reich geschnitzter Rückenlehne“, „dieselben gepolstert“, sowie den Fauteuil „ohne Tapezierung“, „mit Tapezierung von ordinärem Stoff“ und „mit Tapezierung von feinem Stoff“. [2]
War in den 1860er Jahren das fotografische Atelier noch überwiegend mit Gebrauchsmöbeln ausgestattet, entwickelte sich in den 1870er Jahren eine speziell auf den Bedarf der Fotografen ausgerichtete Industrie, die die nötige Ausstattung lieferte. So waren bald ›Meubels‹ in jedem Stil wie auch in allen Preis- und Qualitätsabstufungen erhältlich [3]. Die tatsächliche Auswahl an Sitzmobiliar lässt sich anhand der vorliegenden Kinderporträts nur erahnen.

Paul Zucker, um 1890.
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L. Maerz, um 1910.
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Fotograf unbekannt, um 1920.
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Mit der jeweils wechselnden räumlichen Ausstattung des Ateliers sollte die Möglichkeit geschaffen werden, die aufgenommene Person „[…] in einer Umgebung darzustellen, welche seiner würdig und seinen Lebensverhältnissen angemessen ist“[4]. In den ›Photographischen Mitteilungen‹ war 1875 zu lesen: „Der Renaissancestyl ist seinem Charakter nach ernster, würde- und weihevoller, prächtig, aber solid zugleich. Der Roccocostyl charakterisiert mehr Heiterkeit, Lebenslust, ja Lebensübermuth [sic!], Pomp, Prahlerei, zum mindesten Koketterie, er bleibt aber in seinem maassvolleren [sic!] Auftreten von ganz ungemeinem malerischen Reiz. […] Die Jugend wird sich leichter dem Roccocostyl, das Alter dem Renaissancestyl anpassen lassen, natürlich mit Ausnahmen[…]“ [5]. Ausnahmen mögen diese Kinderporträts sein, in denen der Stuhl wohl eher einem praktischen als einen repräsentativen Zweck diente.

“Gretchen Zellermann”. Fotograf unbekannt, um 1862. ©akg-images
“Emil Stelzner”. Eugen v. Béguelin, um 1865.
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Fr. Wilde, um 1865.
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Claude Antoine Lumière, um 1885. ©akg-images
Otto Kagermann, um 1885. ©akg-images
Wilhelm Höffert, um 1895.
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“Zum Andenken an unsere kleine Melanie.” Paul Vorberg, um 1900. ©akg-images
Fotograf unbekannt, um 1910. ©akg-images

Wenn auch die fotografischen Fachzeitschriften im 19. Jahrhundert immer wieder das Durcheinander verschiedener Stile in den Ateliers kritisierten und als Mangel an Geschmack oder Unvermögen des Fotografen herausstellten, war es für weniger bemittelte Fotografen kaum möglich, sich ein ausgewähltes Möbellager anzulegen, um jeweils stilgerecht ihre fotografischen Arrangements zu inszenieren. Obwohl sich auf vielen Fotografien zeittypisches Mobiliar findet, lassen sich die Bilder nicht sicher daran datieren.

Fußnoten:
  • [1] Kempe, Fritz. 1980. In: Kinder-Photo-Album. Die bibliophilen Taschenbücher Nr. 189. Hsg: Elke Dröscher. Dortmund: Harenberg Kommunikation. S.191
  • [2] Preis-Courrant der Wiener Firma Oscar Kramer 1864. Zitiert nach: Voigt, Jochen. 2006. Faszination Sammeln: Cartes de Visite. Chemnitz: Edition Mobilis. S.89
  • [3] Auch für Kleinkinder wurde Ateliermobiliar im Miniaturformat hergestellt.
  • [4] Buehler, Otto. 1869. Atelier und Apparat des Photographen. Weimar: Bernhard Friedrich Voigt. S. 52
  • [5] ›Photographischen Mitteilungen‹, 1875. Zitiert nach: Maas, Ellen. 1977. Die goldenen Jahre der Photoalben. Fundgrube und Spiegel von gestern. Köln: DuMont Buchverlag. S. 84