Sehnsucht nach Farbe

Familie am Kaffeetisch. Amateuraufnahme um 1930, handkoloriert. Fotograf unbekannt. ©akg-images

Schwarzweißfotografien erzeugen eine Distanz zu der von uns farbig wahrgenommenen Welt. Wir assoziieren mit deren Schwarz- und Grautönen gewöhnlich ›Vergangenheit‹ und ›Erinnerung‹.
Verändert sich unser Blick auf die Vergangenheit, rückt diese näher oder wird Vergangenes durch eine nachträglich aufgebrachte Farbigkeit fassbarer?

Scheinbar deckt sich das Bild, das uns eine farbige Fotografie liefert, mehr mit unserer Wahrnehmung der Umwelt und lässt diese authentischer erscheinen. Historiker kritisieren jedoch digital kolorierte Fotografien als Effekthascherei, Eingriff in die Bildaussage und Verfälschung der Geschichte. Anders scheint es sich mit historisch, von Hand kolorierten Fotos zu verhalten. Eine solche Nachkolorierung ist nichts Neues. Schon kurz nach dem Bekanntwerden der Fotografie im Jahr 1839 und den ersten silberglänzenden Daguerreotypien, sehnte man sich nach einer auch farbgetreuen Wiedergabe der Wirklichkeit.

Porträt einer Frau. H. Kleinert um 1880, handkoloriert. ©akg-images
Porträt eines Mädchen. Fotograf unbekannt, um 1910, handkoloriert. ©akg-images
Mädchen mit Blumen und Gießkanne. G. Wezel, um 1875, handkoloriert. ©akg-images
Kleinkindes in Spitzenkleid. Fotograf unbekannt, um 1900, handkoloriert. ©akg-images

Erste Positivabzüge auf Papier [1] begann man mit Stift und Pinsel farblich zu akzentuieren und auszuschmücken. Auch unscharfe Partien der Aufnahmen konnten so leicht kaschiert werden. Bei dieser frühen Form der Kolorierung, die sich an der Miniaturmalerei orientierte, galt es möglichst naturgetreu und präzise zu arbeiten.
1903 melden die Brüder Lumière das erste tatsächliche Farbfoto-Verfahren zum Patent an. Nun konnte mit nur einer Aufnahme ein farbiges Bild erzeugt werden. Autocrome waren jedoch Unikate und konnten wie Diapositive nur mit speziellen Betrachtern angeschaut werden. In Alben finden sie sich nicht. Man bewahrte die wertvollen Bilder in besonderen Kästen und Schachteln auf. Erst Mitte der 1930er Jahre stellten Kodak und Agfa dann Verfahren vor, die massentauglich waren. Fotografieren in Farbe wurde jedoch erst in den 1950er Jahren allgemein erschwinglich.

Albumseite mit Amateuraufnahmen, teilweise handkoloriert. Fotograf unbekannt, um 1925. ©akg-images

Wohl gerade aus diesem Grund tauchen in Alben zwischen den vielen Schwarzweißbildern ab und zu handkolorierte, manchmal ein wenig skurril erscheinende Fotografien auf. Ihre Farbigkeit verändert die Wirkung der Bilder. Einfache Porträt- und Momentaufnahmen sind amateurhaft mit groben Strichen, flächig und teilweise farblich fast surreal koloriert. Fast könnte man meinen, einige davon seien von Kindern bearbeitet worden. Auch wenn in diesen Bildern viel Zeittypisches steckt, wirken sie durch ihre ungewollt abstrakte Kolorierung fast modern.

Eigene Ernte. Amateuraufnahme, um 1929, handkoloriert. Fotograf unbekannt. ©akg-images
Frau im Bademantel Zeitung lesend. Fotograf unbekannt, 1929, handkoloriert. ©akg-images
Fußnoten:
  • [1] Auch Daguerreotypien wurden schon kurz nach ihrer Erfindung in mühevoller Arbeit und unter Zuhilfenahme von feinen Pinseln und Lupe koloriert.