80 Jahre Schiffshebewerk Niederfinow

Vor zwei Jahren etwa besuchte ich zum zweiten Mal das Schiffshebewerk Niederfinow. Das erste Mal war gleich nach der Wende und seltsamerweise sind durch den zweiten Besuch alle Erinnerungen an den ersten ausgelöscht worden.
Schon aus mehreren Kilometern war es zu sehen, wesentlich größer als aus der Entfernung angenommen, stand es eckig in der Landschaft, von Menschenhand errichtet, wie ein Wahrzeichen, nicht störend sondern den Blick bestimmend. Funktionell aber dennoch sehr schön. Eigentlich ein ruhiger Ort ohne Hektik und mit einem weiten Blick über eine sehr schöne Landschaft. Ein optimales Ausflugsziel.

 

Im März 2014 wurde es nun 80 Jahre alt, ein Grund, sich damit näher zu beschäftigen, zumal es kein gewöhnliches Bauwerk ist.
Schon die Namensgebung des Ortes aus vorslavischer Zeit aus dem mittelniederdeutschen Wort fino(u)we deutet auf die Lage hin und bedeutet – so ein großes Online-Lexikon – sich windender Fluß mit Sümpfen und diese Flußlage ist noch über Hunderte von Jahren von großer Bedeutung für den Ort.
Zunächst aber wurde um 1200 eine Burg errichtet, die u.a. die Furt des Flusses Finow schützen sollte, die Furt war von großer Bedeutung, denn die nächsten Furten waren ca. 10 km von hier entfernt. Heute steht an dieser Stelle die Hubbrücke von Niederfinow, die Burg existiert nicht mehr.

Bereits 1620 wurde der erste Finwokanal fertiggestellt, der die Havel mit der Oder verband (der älteste noch in Betrieb befindliche Kanal Deutschlands). Ein Teil des hierzu genutzten Flusses Finow wurde ausgebaut und kanalisiert. Im 30järigen Krieg wurde der Kanal größtenteils zerstört und geriet in Vergessenheit, erst ab 1743 wurde er auf Erlass Friedrichs II. wieder hergestellt. Auf ca. 30 km Länge wird heute über 12 Schleusen ein Höhenunterschied von 36 Metern überwunden. Bedeutung hat auch das sogenannte Finowmaß als das erste deutsche Binnenschiffmaß, nachdem die Schleusen zu ihrer Erneuerung ab 1845 ausgelegt wurden (40,2 m Länge, 4,60 m Breite und Tiefe von 1,40 m), zwei Schiffe dieses Maßes mussten gleichzeitig in eine Schleuse passen).
1899 wurde von Siemens auf einem Teilstück des Kanals Versuche mit dem elektrischen Schiffszug unternommen, deren Erfahrungen 1906 in den Bau der Treidelbahnen entlang des Teltowkanals einflossen aber auch beim Bau der Schleusentreppe Niederfinow, dem Vorgängerbauwerk des Schiffshebewerks.
1914 wurde der Hohenzollernkanal (ab 1945 Oder-Havel-Kanal) errichtet als Teil des Großschiffahrtweges Berlin-Stettin, in diesen mündet seitdem der Finowkanal. Außerdem existiere bis vor kurzem die Eberswalder Kanalbrücke ÜBER die Berlin-Stettiner Eisenbahn, die 207 jedoch abgerissen wurde, seitdem fahren die Züge durch einen Tunnel unter dem Kanal hindurch.
Der Oder-Havel-Kanal wurde erforderlich, weil die bisherigen Kanalkapazitäten der vorhandenen Kanäle nicht mehr ausreichten, zu viele und zu kleine Schleusen den Einsatz immer größerer Binnenschiffe erschwerten. Er wurde beinahe parallel zum Finowkanal gebaut.
Mit dem Bau des Oder-Havel-Kanals wurde in Niederfinow die schon erwähnte Schleusentreppe errichtet aus vier Schleusenkammern, die jeweils 9 Meter Höhe überwunden. Eine Schleusung dauerte mit allen Vorbereitungen 1,5 Stunden. Daher wurde gleichzeitig die Planung eines parallel zur Schleuse zu errichtenden Schiffshebewerks begonnen. Auf Luftaufnahmen war gut zu erkennen, dass die Schleusentreppe vom Hauptverlauf des Kanals abzweigte, ein Hebewerk war von Anfang an vorgesehen.
U.a. durch den ersten Weltkrieg verzögerte sich der Bau des Schiffshebewerks, die Pläne änderten sich mehrfach, die Größe der zu hebenden Schiffe wuchs von ursprünglich 650 auf 1000 Tonnen an, sodass 1927 die Planungen fertig waren und mit dem Bau begonnen wurde. Zur Fertigstellung 1934 hatte sich die politische Landschaft erneut geändert, doch das Hebewerk konnte in Betrieb gehen und hatte bis dahin 27,5 Mio Reichsmark gekostet. Das Schleusen dauert jetzt 20 Minuten wobei der Hebevorgang nur fünf Minuten dauert. Bereits nach nicht ganz fünf Jahren wurde das 100.000ste Schiff geschleust.


Das Hebewerk misst 60 Meter in der Höhe, 94 Meter Länge und 27 Meter Breite, besteht aus 14.000 Tonnen Stahlträgern, die mit 5 Millionen Nieten verbunden sind. Die Bodenplatte ist 4 Meter stark, die betonbewährten Stahlträger reichen bis 22 Meter tief in den Boden.
Der Trog ist 85 Meter lang, 12 Meter breit und hat eine Wassertiefe von 2,50 Metern. Er wiegt – mit und ohne Schiff – 4300 Tonnen, genau 4300 Tonnen wiegen die Gegengewichte, sodass für das Heben und Senken vier Elektromotoren mit je 55 kW ausreichen. Der Trog wird von 256 Stahlseilen mit 52 mm Durchmesser getragen.
Bis 2007 hatte das Hebewerk 47 Ausfalltage durch technische Defekte. Planmäßige Reparaturen finden im Winter während der Sperrzeiten von Dezember bis März statt.
Es ist ein Industriedenkmal und geschützt durch die Haager Konvention zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten gegen Zerstörung, Beschädigung, Plünderung usw. 2007 bekam das Schiffshebewerk die erstmals verliehene Auszeichnung als Historisches Wahrzeichen der Ingenieurbaukunst in Deutschland.
Die Schleusentreppe wurde erst 1972 nach 58 Jahren Betrieb gänzlich stillgelegt und bis dahin noch parallel zum Hebewerk genutzt.
So wird es dem alten Hebewerk wohl auch ergehen, denn inzwischen ist es längst zu klein geworden. Schubverbände müssen zum Schleusen getrennt werden, mehrstöckige Containerschiffe können das alte Hebewerk nicht passieren. Daher wird neben dem alten Hebewerk, teilweise auf der alten, eigentlich unter Denkmalschutz stehenden Schleusentreppe, für 285 Mio Euro das neue Werk aus Stahlbeton errichtet, das nun halbfertig ist und nicht wie geplant 2014 sondern erst 2016 in Betrieb gehen soll.


Hier wird der Trog 125 Meter lang, 4 Meter tief und 27,90 Meter breit sein und fast 10.000 Tonnen wiegen. Das alte Hebewerk soll bis 2026 parallel betrieben werden.
Wer einmal in der Nähe sein sollte, dem empfehle ich unbedingt einen Besuch in Niederfinow. Die Aussicht bei gutem Wetter aus 36 Metern Höhe ist phantastisch, und auch für weniger Technikbegeisterte ist der stählerne Riese beeindruckend. In 12 Jahren wird es dann wohl stillgelegt.