Geschichte berührt – „Jeder stirbt für sich allein“

Kürzlich begann ich Hans Falladas „Jeder stirbt für sich allein“ zu lesen.

Bis dahin im englischsprachigen Ausland kaum wahrgenommen, entwickelte sich die 2009 erschienene Übersetzung von Michael Hofmann zu einem Bestseller in Großbritannien. Nicht zuletzt auch durch die von BBC Radio 4 ausgestrahlte zweiteilige Hörspiel-Adaption.

In diesem Frühjahr endlich wurde der Roman erstmals ungekürzt in deutscher Sprache im Aufbau Verlag veröffentlicht.

Seit ich vor einigen Jahren von London nach Berlin umzog, lebe ich nun ganz in der Nähe der Prenzlauer Allee und der Jablonskistraße. Straßen, die im Buch eine Rolle spielen.

Und so ist es für mich ein berührendes Gefühl auf meinem Weg zur Arbeit durch diese Straßen zu laufen, das Buch in der Tasche und die Geschichte von Otto und Anna Quangel im Kopf.

Die Geschichte meiner Umgebung wird lebendig, gerade und besonders, wenn ich ein Wohnhaus auf der Prenzlauer Allee passiere, vor dessen Hauseingang zwei STOLPERSTEINE im Gehweg eingelassen sind. Diese Stolpersteine sind überall in Berlin und auch in vielen anderen deutschen Städten zu finden. Eingraviert in Messingtafeln sind die Namen und das Schicksal der Männer, Frauen, Kinder und ganzer Familien, die während der NS-Zeit umgebracht wurden. Initiator des Erinnerungsprojektes STOLPERSTEINE ist der Kölner Künstler Gunter Demnig.

Sie sollen uns immer im Bewußtsein halten, was Menschen fähig sind, anderen Menschen anzutun und daß hinter den unglaublichen Fakten und Zahlen, grausame persönliche Schicksale stehen. Und ich erinnere mich an das erste Mal, als ich an einem Stolperstein stand und ich werde jedes Mal aufs Neue innehalten. Für mich als Deutsche ist dieses Projekt vielleicht die beste Art und Weise ein Vergessen auch anderen nicht zu gestatten.

Im 1947 erschienenen Roman schildert erstmals ein deutscher Schriftsteller den, wenn auch vergleichsweise geringen, zivilen Widerstand kleiner Leute gegen den Nationalsozialismus.

Nicht nur für mich eine eindringliche Darstellung des kleinbürgerlichen Alltags der Deutschen während des Krieges, ist das brillant geschriebene Buch fesselnd von der ersten Seite an.

Wir bei akg-images sind in der glücklichen Position, das Abraham Pisarek Archiv vertreten zu dürfen.  Abraham Pisarek war ein jüdischer Fotograf, der auch während der Nazi-Zeit in Berlin lebte und arbeitete. Offiziell nach 1933 natürlich mit einem Berufsverbot belegt, arbeitete er seitdem hauptsächlich für die Jüdische Gemeinde und den Jüdischen Kulturbund.

Nachdem er sich in der Oranienburger Straße ein Atelier einrichtete, wurde Berlin Mitte sein bevorzugtes Arbeitsrevier und viele seiner Fotografien entstanden gerade in den von Fallada beschriebenen Gegenden Berlins.

Belege damaligen jüdischen Lebens finde ich auch heute überall: Der Friedhof, die Synagoge und eben auch die Stolpersteine vor meinen Füßen auf den Gehwegen. All dies erinnert uns an die furchtbaren Schicksale sehr vieler Berliner.

Pisareks Aufnahmen sind Zeitzeugnisse des Alltagslebens Berliner Einwohner ebenso wie die Schilderungen in Hans Falladas Roman. Und so fiel mein Blick mit neuem und persönlicherem Interesse auf die Fotos seines bemerkenswerten Archivs.